§§ 3 Abs. 1 S. 1 EntgFG; §§ 28 Abs. 1 S. 1, 30 Abs. 1 S. 2, 56 Abs. 1 S. 4 IfSG; § 286 Abs. 1 ZPO
Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit i.S.v. § 3 Abs. 1 EFZG dar. Diese führt zur Arbeitsunfähigkeit, wenn es dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich ist, die geschuldete Tätigkeit bei dem Arbeitgeber zu erbringen und eine Arbeitsleistung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommt.
(amtlicher Leitsatz)
1. Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit i.S.v. § 3 Abs 1 EntgFG dar.
2. Arbeitsunfähigkeit liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer wegen der Erkrankung aus rechtlichen Gründen die Arbeitsleistung nicht erbringen kann, z.B. weil für ihn aufgrund der Erkrankung ein Beschäftigungsverbot besteht. Gleiches gilt, wenn gegenüber einem Arbeitnehmer aufgrund einer ansteckenden Infektionskrankheit gemäß § 30 Abs 1 S 2 i.V.m. § 28 Abs 1 S 1 IfSG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung behördlich die Isolierung (Quarantäne) oder Absonderung verfügt wurde.
3. Bei einer symptomlosen SARS-CoV-2-Infektion und einer hierdurch bedingten Quarantäneanordnung ist der nach § 3 Abs 1 EntgFG erforderliche Kausalzusammenhang gewahrt, weil die Absonderungsanordnung ihrerseits unmittelbare Folge der Erkrankung ist. Sie ist kein weiterer, paralleler Umstand, der für sich allein gesehen Grund der Arbeitsverhinderung sein könnte, sie war vielmehr nach der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden infektionsschutzrechtlichen Rechtslage zwingende Rechtsfolge bei einer SARS-CoV-2-Infektion.
4. Der Grundsatz der Monokausalität stünde dem Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann entgegen, wenn die Absonderungsanordnung unabhängig von der Erkrankung erfolgen würde. In diesem Fall käme ihr selbstständige Bedeutung zu.
5. Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 3 Abs 1 EntgFG wird nicht durch einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs 1 IfSG ausgeschlossen, wenn durch die zuständige Behörde eine infektionsschutzrechtliche Isolierung (Quarantäne) angeordnet wird und zeitgleich krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 3 EntgFG besteht.
6. Der Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich einer schuldhaften Verursachung der Arbeitsunfähigkeit ergibt sich aus § 286 ZPO. Aus § 56 Abs 1 S 4 IfSG lassen sich für Fälle wie den vorliegenden (Arbeitsunfähigkeit eines ungeimpften Arbeitnehmers wegen SARS-CoV-2-Infektion) im Rahmen von § 3 Abs 1 S 1 EntgFG keine erleichterten Kausalitätsanforderungen ableiten.
7. Ein unterstelltes Verschulden des Arbeitnehmers durch die unterlassene Schutzimpfung ist nur dann ursächlich für die eingetretene SARS-CoV-2-Infektion, wenn durch die Inanspruchnahme der empfohlenen Impfung die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vermieden worden wäre. Es genügt nicht, dass das Unterlassen der gebotenen Handlung das Risiko des Erfolgseintritts erhöht. Vielmehr muss unter Beachtung des Maßstabs des § 286 Abs 1 ZPO auszuschließen sein, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auch bei Vornahme der gebotenen Handlung – also die Inanspruchnahme der Schutzimpfung durch den Arbeitnehmer – eingetreten wäre. Hierbei sind die tatsächlichen Umstände zu würdigen.
(amtliche Orientierungssätze)
BAG, Urteil vom 20. März 2024 – 5 AZR 234/23 – mit einer Anmerkung von Rechtsanwalt Dr. Torben Götz, Essen
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.2193-5661.2024.05.08 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 2193-5661 |
Ausgabe / Jahr: | 5 / 2024 |
Veröffentlicht: | 2024-10-08 |
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